Sprachbegegnungen im Zeitalter der Entdeckungen
Als sich die Europäer aufmachten, die Welt zu entdecken und zu erobern, stießen sie nicht nur auf natürliche Barrieren oder vermeintlich feindselige Eingeborene, sondern zuallererst auf sprachliche, auf kommunikative Grenzen. Und doch fand ein erstaunlich intensiver Austausch zwischen den oft so unterschiedlichen Kulturen statt. Maßgeblich für das Funktionieren dieses Austausches war und ist immer die sprachliche Verständigung, die Sprach- und SprecherInnenbegegnungen, wie es die Autorin des Buches „Als Humboldt lernte, Hawaiianisch zu sprechen“ ausdrückt. Und 42 Geschichten eben solcher SprecherInnen- und Sprachbegegnungen stellt Rita Mielke in ihren von Hanna Zeckau wunderschön illustrierten Buch vor.
Botschafter und weiße Elefanten
Rita Mielke beginnt bei den Sprachbegegnungen mit einem spektakulären Ereignis: Am 20, Juli 802 kehrte eine Gesandtschaft Karls des Großen in seine 400-Seelen Residenz Aachen zurück. Insgesamt viereinhalb Jahre waren die fränkischen Botschafter unterwegs, die zwischen dem Kaiser und dem Kalifen von Bagdad Vereinbarungen über die heiligen Stätten in Jerusalem zu regeln. Das nach außen Spektakulärste waren die reichhaltigen Geschenke, die der Kalif dem Hofe Kaiser Karls zukommen ließ, darunter ein ausgewachsener und lebendiger indischer (der Legende nach weißer) Elefant.
Viele mögen sich fragen, wie das Rüsseltier transportiert wurde und ob und wie lange es hier in unseren Breiten am Leben blieb. Welche politischen Vereinbarungen zwischen immerhin rund 4.000 Kilometern voneinander entfernten mittelalterlichen Herrscherhäusern wurden getroffen, welche Herausforderungen brachte die Reise in der damaligen Zeit?
Für Rita Mielke stellt sich jedoch eine ganz andere, wesentlich zentralere und in unserer Globalisierungsgeschichte kaum gestellte Frage: Wie fand eigentlich die Verständigung zwischen den so unterschiedlichen Kulturen statt. Wie konnte ein komplexes Abkommen zwischen der fränkisch-/lateinischsprachigen und der arabischsprachigen Welt zustande kommen. Wer waren die Sprachvermittler und wie konnten sie ihre Kenntnisse erwerben? Die Botschafter selbst, die fränkischen Ritter Lantfried und Sigmund, dürften kaum des Arabischen mächtig gewesen sein, aber die waren ohnehin bereits auf der Anreise erkrankt und verstorben.
Sprache als Instrumente für Kooperation und Herrschaft
Wir erinnern uns an die Reisen Marco Polos ins Reich der Mitte, an Ibn Batuta den arabischen Weltreisenden, die europäischen Entdecker, Eroberer und Forscher der vergangenen Jahrhunderte und lauschen ihren bzw. lesen ihre spannenden Berichte über fremde Kulturen, ihre Sitten, Gebräuche, Glaubensvorstellungen und sozialen Systeme. Aber wie, wenn nicht über die Sprache kommt der jeweilige Reisende an diese Informationen? Doch woher haben Dolmetscher ihre fremdsprachigen Kompetenzen, welcher Strategien, Konzepte und Methoden bedienten sich unsere Vorfahren zur Überwindung der Sprachbarrieren, zu einer Zeit, als es noch keine Sprachschulen, Wörterbücher oder gar online-Übersetzer gab?
Natürlich, irgendwer musste die Sprache des jeweiligen Kommunikationspartners lernen. Aber wer? Für die europäischen Kolonialherren war die Antwort einfach, die Eingeborenen hatten die Herrschaftssprache, also Portugiesisch, Spanisch, Englisch oder Französisch zu lernen. Für die europäischen Siedler in von den Indigenen noch beherrschten Ländern empfahl es sich, ebenso wie für Forschungsreisende in entlegenen Gegenden der Erde, sich mit der Sprache des jeweiligen Gegenübers auseinanderzusetzen. Und so zeichnet die Autorin in jedem der 42 Kapitel ein Bild von Partnerschaften, Leidenschaften, Herrschaften, kulturellen Grenzüberschreitungen und Genialitäten, immer gebunden an konkrete Personen. Denn das Überwinden von Sprachbarrieren ist immer eine persönliche Angelegenheit und das Ergebnis von wie auch immer gearteter kommunikativer Interaktion.
Nicht alles Deutsche ist deutsch
Sprachliche Grenzüberschreitungen sind letztendlich eine existenzielle Voraussetzung für die Kommunikation zwischen Kulturen und so ist es natürlich auch kein Wunder, dass es in jeder Sprache kaum noch als solche wahrgenommenen Lehnwörter gibt, die auch auf eine gewisse interkulturelle Tradition hinweisen. Auch diesen Aspekt greift die Autorin in Form von Infokästen zu jedem Kapitel auf und am Ende kristallisiert sich bei dem/der LeserIn die Erkenntnis voraus, dass Sprache und Kommunikation nicht nur zu den wichtigsten, sondern auch spannendsten Bestandteilen von menschlicher Kultur gehört und im Einzelfall sogar spannender und spektakulärer sein können als weiße Elefanten.
Rita Mielke, Hanna Zeckau: Als Humboldt* lernte, Hawaiianisch zu sprechen. Duden 2021. Gebunden 239 Seiten
*an dieser Stelle sein noch ergänzt, dass es sich für viele wider Erwarten bei Humboldt nicht um den berühmten Forschungsreisenden Alexander, sondern um seinen Bruder, dem Kultur- und Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt handelt.
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