Korkmodelle für Sammlungen, Museen und Denkmalschutz

Wolfgang Schwerdt im Gespräch mit dem Phelloplastiker Dieter Cöllen

Dieter Cöllen (4)

Dieter Cöllen. Foto: Rainer Mader

Die Tradition des Korkmodells (Phelloplastik) reicht zurück ins Ende des 18. Jahrhunderts. Architekturmodelle überwiegend antiker Gebäude aus Kork gehörten im 18. und 19. Jahrhundert als Prestigeobjekte zu den Sammlungen der wichtigen europäischen Fürstenhöfe und fanden Eingang in die zu jener Zeit neu gegründeten Modellsammlungen und Architekturschulen.

Heute finden sich Sammlungen historischer Korkmodelle vor allem in Museen, wie beispielsweise 33 Modelle des römischen Architekten Antonio Chichi (1743 – 1816) im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel. Das weltweit größte moderne Architekturmodell aus Kork findet sich im Kölner Praetorium und stellt den imposanten Kapitolstempel des römischen Köln dar. Der letzte Korkbauer Europas, Dieter Cöllen hatte das Modell nach einer wissenschaftlichen Rekonstruktion von Sven Schütte realisiert.
Seit Mitte der 80er Jahre befasst sich der gelernte Bauzeichner Dieter Cöllen mit der historischen Kunst des Korkmodellbaus. 1985 gründete er ein Atelier für Phelloplastik und Architekturmodellbau. Seit Ende der 90er Jahre sind seine Arbeiten in archäologischen Ausstellungen und Sammlungen auf der ganzen Welt zu besichtigen.

GeschiMag: Nicht jeder, dessen Lateinlehrer Interesse für römische Geschichte und Architektur weckt und später dann historische Korkmodelle in einer Ausstellung erblickt, wird wie Sie zu einem leidenschaftlichen Phelloplastiker. Immerhin gelten Sie als der letzte Korkkünstler Europas. Angesichts der offensichtlichen Nachfrage nach Ihrer Arbeit schon ein wenig verwunderlich.

D. Cöllen: Das stimmt, wird aber verständlich, wenn man ein wenig an der Oberfläche kratzt. Die großen Meister des 18. Jh. wie der Italiener Antonio Chichi oder auch der Deutsche Carl May, waren sehr daran interessiert ihre handwerkliche Monopolstellung zu bewahren und auszubauen, denn die wohlhabenden adligen Auftraggeber zur Zeit der „Grand Tour“ sorgten für Goldgräberstimmung im überschaubaren Lager der Phelloplastiker. Aus diesem Grunde fertigten sie kaum Aufzeichnungen über die teilweise sehr komplizierten Techniken an. Darüber stolperte ich natürlich sofort, als ich mich mit der Materie beschäftigte, und meine Begeisterung für diese Disziplin lief erst einmal ins Leere. Ich hatte jedoch das große Glück und auch die Ehre in Herrn Prof. Gercke von Schloss Wilhelmshöhe in Kassel einen Förderer meiner Bemühungen zu finden. An unrestaurierten Modellen von Chichi gewährte er mir Einblick in das Innenleben der antiken Kunstwerke Diese „Autopsie“ bildete danach für mich eine solide, handwerkliche Grundlage, aber es sollten noch Jahre vergehen, bis ich mich in den erarbeiteten Fähigkeiten annähernd sicher fühlte.

GeschiMag: Sie verstehen ihre Arbeit auch als eine Künstlerische. Auf der anderen Seite entstehen die Modelle ja nicht im Phantasialand. Wie sieht der wissenschaftliche Teil Ihrer Arbeit aus und unterscheidet die sich je nach Auftraggeber und Zielsetzung?

D. Cöllen, Kapitolstempel 2008 (10)

Kapitolstempel. ©Dieter Cöllen

D. Cöllen: Durch meine langjährigen Recherchen und Anstrengungen befand ich mich technisch irgendwann auf sehr hohem, wissenschaftlich anerkanntem Niveau. Das fachliche Renommee und die Qualität der Arbeit ziehen gute Kontakte zu Archäologen nach sich. So kann ich die realen Objekte auch von innen her erforschen, und diese Erkenntnisse letztlich wieder in meine Werke einfließen lassen. Außerdem macht mir die Teamarbeit mit Wissenschaftlern unglaublich Spaß, und erst dadurch erlange ich das nötige Geschichtsverständnis. All das schlägt sich am Ende in den Modellen nieder. Und von dieser Qualität profitiert natürlich auch der Museumsbesucher. Ich hatte und habe nicht vor, das alles einem kurzlebigen kommerziellen Erfolg durch Herunterschrauben meiner Qualitätsansprüche zu opfern. Ich möchte diesbezüglich hinsichtlich der Auftraggeber keine Unterschiede machen.

GeschiMag: Der Zugang vor Ort, die persönliche Betrachtung des jeweiligen Gegenstandes ihrer Arbeit ist Ihnen besonders wichtig und offensichtlich sind es auch die Menschen, die sich der historischen Stätten archäologisch annehmen.

D. Cöllen: Zunächst sichte ich selbstverständlich die bereits existierenden archäologischen Vermessungen. Hierbei interessieren mich besonders solche, welche vielleicht von Studenten in sengender Sonne an den Fundstätten gemacht wurden, denn hier erkenne ich Menschen hinter den Aufzeichnungen, die sich wirklich leidenschaftlich für ein Ergebnis engagiert haben. Ich bin aber immer auch selbst vor Ort, verbringe viel Zeit mit Lauschen und Beobachten, nur um dem Wesen des Objekts auf die Schliche zu kommen. Diese Vorgehensweise transportiert für mich auch die entscheidende Energie. Darüber hinaus arbeiten wir an den historischen Schauplätzen natürlich mit den modernsten Vermessungs- und Dokumentationstechniken. Aber erst beides zusammen bildet die Grundlage meiner Arbeit.

GeschiMag: So schön Korkmodelle auch anzusehen sind und so vielseitig das Material auch sein mag, bei welcher Art von Architektur liegen die Stärken und wo sind die Grenzen seines Einsatzes?

D. Cöllen, Cheops-Pyramide

Detail Cheopspyramide. ©Dieter Cöllen

D. Cöllen: Zunächst einmal hat Kork die liebenswerte Eigenschaft, mit dem Verfall befreundet zu sein. Außerdem ist er sehr eigenwillig, und so bin ich beim „ruinieren“ nie wirklich Herr der Lage. In der Realität verfällt ein Gebäude ja auch nicht nach einem bestimmten Muster. Der Einsatz von Kork macht also nur dort Sinn, wo die Zeit ihre Narben und Furchen hinterlassen hat. Dankbare Materialien sind dafür In erster Linie Travertin, Sandstein und Marmor, aber auch Ziegel oder Lehm. Und natürlich Landschaften aus erodiertem Fels. Heute scheue ich mich jedoch auch nicht mehr, den Kork für ein Fresko zu „verputzen“. Die Einsatzmöglichkeiten des Materials sind also bei guter Beobachtung sehr vielseitig.

GeschiMag: Das von ihnen gefertigte Korkmodell der Casa del Menandro, das in der Ausstellung Pompeji, Katastrophen am Vesuv zu sehen war, entspricht keinem der bisherigen Zustände der Ruine. Festgehalten wurde hier ein Künstlicher. Ist das möglicherweise die eigentliche Stärke eines modernen dreidimensionalen Korkmodells?

D. Cöllen: Der Zweck heiligte hier die Mittel. Der von Ihnen angesprochene Zustand sollte dem Betrachter natürlich die architektonischen Zusammenhänge und die Nutzungsstrukturen des Gebäudekomplexes verdeutlichen, was bei den geschlossenen Dachflächen wie sie heute dort vorhanden sind, nicht möglich gewesen wäre. Da der Verfall bekanntlich der größte Feind des Archäologen ist, haben wir für die Rekonstruktion die Zeit einfach angehalten, kurz durchgeatmet, und im Modell den Zustand der Casa zur Zeit der Ausgrabungen gezeigt – ein Idealzustand, der jedoch Gedankenanstoß zu Erhaltung oder Restaurierung des Kulturguts geben kann.

GeschiMag: Die Faszination an historischen Korkmodellen besteht sicherlich auch darin, dass sie inzwischen selbst Teil der Geschichte sind und damit – wie beispielsweise die Architekturzeichnungen die während der Ägyptenexpedition Napoleons angefertigt wurden – die spezifische Sichtweise der Architekten/Wissenschaftler dieser Zeit auf die antiken Monumente repräsentieren. Bei der Lebensdauer von Korkmodellen: Was würden Historiker in etwa 300 Jahren diesbezüglich wohl aus Ihren Phelloplastiken herauslesen können?

D. Cöllen, Casa del Menandro

Casa del Menandro. ©Dieter Cöllen

D. Cöllen: Aus meiner „Autopsie“ antiker Modelle habe ich den immensen Zeitdruck, unter dem die alten Meister standen, herauslesen können. Dies führte zwangsläufig zu instabilen Grundkonstruktionen, über die sich heute die Restauratoren freuen. Aber genau dieser Leistungsdruck gibt uns heute Auskunft über das große Interesse an diesen Dokumenten unbekannter Kultur. Die rasante Entwicklung des Klassizismus in der Architektur ist Ausdruck dieses Begehrens. Wenn wir also zunächst 300 Jahre zurückblicken, dann sehen wir auf großen kulturellen Reichtum und auf einen spannenden Aufbruch in eine neue Epoche. Schauen wir nun 300 Jahre in die Zukunft (wenn dies überhaupt möglich ist bei unserer rasanten Fahrt), dann wird man meine gut erhaltenen Korkmodelle neben den wenigen überdauerten Zeugnissen unserer heutigen Kultur bewerten müssen. Vielleicht wird man sie dann ja als Ausdruck einer elementaren Sehnsucht nach menschlichem Maßstab und adäquater Beständigkeit interpretieren. – Werte, die mir selbst schon jetzt sehr wichtig sind.

GeschiMag: Es gibt sicherlich keinen Grund, einen künstlichen Gegensatz zwischen dreidimensionalen Architekturmodellen und architektonischen 3D-Computeranimationen herzustellen. Wo liegen Ihrer Meinung nach die sinnvollen Ergänzungen, die tatsächlichen Unterschiede und die jeweils spezifischen Vorteile für die wissenschaftlich-historische Forschung, den Denkmalschutz und die öffentliche Präsentation wissenschaftlicher Erkenntnisse?

D. Cöllen: Das große öffentliche Interesse an den ausgestellten Korkmodellen, sowie die Befragung vieler Museumsbesucher, zeigt eine zunehmende Rückbesinnung auf Handwerkskunst und erlebbare Geschichte. Natürlich haben Computeranimationen ihren festen Platz in der Museumspädagogik, und sind zum Verständnis der Zusammenhänge unerlässlich. Aber erst in Verbindung mit einer dreidimensionalen Visualisierung des Zielobjekts lässt sich beim interessierten Betrachter ein solides Gesamtverständnis aufbauen, das sowohl einen wissenschaftlich fundierten als auch einen emotionalen Zugang zur Geschichte ermöglicht. Korkmodelle können hier einen wichtigen Beitrag leisten, denn sie lassen ein exaktes Abbild der Realität zu. Diese Eigenschaft wiederum hat grundlegende Bedeutung für den zweckorientierten Denkmalschutz. Notwendige Erhaltungsmaßnahmen können am Modell diskutiert und eventuell Wiederaufbauarbeiten erörtert werden. Problemlos transportiert, können die Objekte auf der ganzen Welt schnell und effektiv in themenbezogene Shows einbezogen werden. Hier können sich auch potentielle Sponsoren ein wirklichkeitsnahes Bild des Objekts machen, und ihr Engagement sowohl auf kultureller, als auch auf wirtschaftlicher Ebene überprüfen und umsetzen.

D. Cöllen, Forum Triangolare

Forum Triangolare. ©Dieter Cöllen

GeschiMag: An welchem Projekt arbeiten Sie eigentlich zur Zeit?

D. Cöllen: Zur Zeit bin ich in Hochstimmung, denn das Sir-John-Soane´s Museum in London erteilte mir den Auftrag zur Teilrekonstruktion des berühmten „Modelstands“. Soane war als Architekt im 18.Jh. auch leidenschaftlicher Sammler von Korkmodellen, und so richtete er eigens hierfür einen „Modelroom“ ein. Heute fehlt ein großer Teil des darin enthaltenen Pompeji-Modells, und man bat mich dieses zu rekonstruieren. Für mich eine wirklich große Ehre, denn England ist eigentlich kulturell eine geschlossenen Gesellschaft. In wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Kockel von der Universität Augsburg gelang mir schließlich nach 6 monatiger Bauzeit die Rekonstruktion des „Forum Triangolare„ fertig zu stellen, die bald in die Vitrine integriert, und Anfang 2015 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Weiterhin liegen 6 Projekte des Römischen Kölns in der Schublade, die als Exponate für unser neues Museum der „Archäologischen Zone“ dienen sollen. Hier verhindern jedoch politische Interessen seit vielen Jahren den Fortgang der Arbeiten.

GeschiMag: haben Sie einen phelloplastischen Traum, ein Gebäude oder eine Anlage, die sie unbedingt einmal in einem Korkmodell verewigen möchten. Wenn ja, was reizt Sie gerade daran?

D. Cöllen: Meinen Traum lebe ich jeden Tag, aber um das alles realisieren zu können – oh, das wird eng! Mein größter Traum ist eigentlich, mein Wissen weiter geben zu können. Natürlich bediene ich mit meiner Arbeit keinen Trend, das macht die Sache nicht gerade einfacher. Vor einiger Zeit bat mich allerdings das Gymnasium in Schleiden mit 14 jährigen Schülern das Kolosseum zu bauen. Verwundert über deren Mut, erarbeitete ich ein Konzept, das schließlich zu einem erstaunlichen Ergebnis führte. Viele Schüler erkannten, dass Ihre Finger nicht nur Tastaturen betätigen konnten, und erlebten eine große kreative Erfüllung. Hier würde ich gerne weitermachen, denn nur auf CD oder Video lässt sich meines Erachtens kein wirkliches Wissen im Sinne von Verständnis vermitteln. Leider scheiterten meine folgenden Bemühungen, an Schulen mit diesem Anspruch tätig zu werden, an deren statischem Lehrplan, der ein vernetztes Wissen zur Zeit leider noch nicht vorsieht. Anyway – dann müssen wir eben selber ran…

GeschiMag: Herr Cöllen, vielen Dank für das Gespräch.

Video der Deutschen Welle zur Korkkunst des Dieter Cöllen

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