Kulturgeschichte der Mensch-Pferd-Symbiose

Die Herausgeber Wiczorek und Tellenbach haben mit „Pferdestärken, das Pferd bewegt die Welt“ ein hervorragendes Werk über die Rolle des Pferdes bei der Entwicklung der menschlichen Kultur abgeliefert. Dass die Beiträge der 30 Autoren des Buches „Pferdestärken“ von hoher wissenschaftlicher Kompetenz geprägt sind, versteht sich bei einem Begleitband zur gleichnamigen Sonderausstellung der Reiss-Engelhorn-Museen eigentlich von selbst.

PferdestärkenDen Bonus, dass sich die Beiträge, eine gewisse Konzentration vorausgesetzt, auch noch gut lesen und verstehen lassen, gibt es bei diesem Buch noch gratis dazu. Das Thema, nämlich die Rolle des Pferdes bei der kulturellen Entwicklung der Menschheit, ist deutlich komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn von sich aus hat das Pferd sicherlich nicht Anschluss an den Menschen gesucht. Und allein die Diskussion der Frage, welche Voraussetzungen der Mensch erfüllen musste, um das Pferd domestizieren zu können, weist bereits darauf hin, dass das Pferd allein durch seine Eigenschaften bereits prägenden Charakter auf die menschliche Kultur hatte.

Die Symbiose von Mensch und Pferd

Streitwagenheere, Reiternomaden, wagenlenkende Pharaonen oder Ritter und immer wieder Zeugnisse der intensiven Auseinandersetzung des Menschen mit dem Wesen des Pferdes begegnen uns allenthalben in der Archäologie und Geschichte. Sei es in Form von Jahrtausende alten Keilschrifttexten zur Ausbildung und Pflege von Pferden im vorderen Orient, sei es in Form von Bildnissen, mittelalterlichen Schriften, Skulpturen oder Standbildern und Kunst bis hinein in unsere Zeit. Auch das Buch selbst dokumentiert allein durch seine Existenz, dass der Mensch mit dem Thema Pferd noch längst nicht abgeschlossen hat.

Die Autoren von „Pferdestärken“ befassen sich mit nahezu allen kulturgeschichtlich-wissenschaftlichen Aspekten dieser equiden Spezies namens Pferd. Das beginnt natürlich bei seinen Ursprüngen. Nicht bei seinen Ursprüngen als Nutztier, sondern als 40 Zentimeter großes Urpferd namens Hyracotherum, das vor 50 Millionen Jahren Europa bevölkerte. Vier Zehen vorne, drei Zehen hinten und alle mit kleinen Hufen versehen, ein krummer Rücken und kurze Beine, das waren die Vorfahren der modernen Pferde, deren Entwicklung anhand archäologischer Funde im Buch dargestellt wird. Natürlich darf die „Heimat“ der Urpferde, die Grube Messel, der ein eigenes Kapitel gewidmet ist, nicht fehlen.

Kultur und Pferd im Laufe der Geschichte

Der Schwerpunkt des Buches liegt aber eindeutig auf der Symbiose von menschlicher Kultur und Pferd. Das beginnt mit der Steinzeit, geht mit einem Abstecher in die Archäozoologie und die Molekulargenetik weiter und widmet sich dann in vielen ausführlichen Kapiteln zunächst dem vorderasiatischen, dann dem zentralasiatischen Kulturkreis einschließlich dem China der Han-Zeit.

Die europäische Hallstat und Latènezeit, das China der Tang-Zeit und natürlich das Mittelalter schließen sich an.

Bevor sich die Autoren der Entwicklung und Darstellung des Pferdesports aus recht unterschiedlichen Perspektiven widmen, wird noch ein letztes Kapitel zum Pferd als Nutztier angeboten. Hier geht es um die Rolle des Pferdes in Gewerbe und Verkehr des 19. Jahrhunderts.

Evolutions- und Kulturgeschichte der Pferde und die Archäologie

Gerade in den Kapiteln zur Evolutionsgeschichte der Pferde und zur Kulturgeschichte der Vor- und Frühzeit nehmen die Archäologischen Quellen und ihre Interpretationen einen breiten Raum ein. Statt aber wie so oft, wenn es um die Darstellung archäologischer Funde geht, den Leser mit Details zu erschlagen, für die sich nur ein professioneller Archäologe begeistern kann, stehen hier die Artefakte und Erkenntnisse immer in direktem Zusammenhang mit dem kulturgeschichtlichen Thema. Den Autoren gelingt es gewissermaßen, dort, wo es möglich ist, die Artefakte selbst erzählen zu lassen und nehmen den Leser dadurch mit auf die ausgezeichnet illustrierte Reise in die Vergangenheit.

Pferdestärken ein kompetentes Buch über die Stärken der Pferde

Der Leser des Begleitbandes zur 2007 organisierten Sonderausstellung „Pferdestärken“ sollte trotz der schriftstellerischen Qualitäten der Autoren schon ein wenig geschichtliche Vorkenntnisse mitbringen. Zwar finden sich am Ende der jeweiligen Kapitel Erläuterungstexte, letztendlich liest sich das Buch aber einfacher, wenn man die erwähnten Kulturen beispielsweise des vorderen Orients einordnen kann, ohne immer wieder nachschlagen zu müssen.

Pferdestärken ist also keine ganz leichte, aber eine für Interessierte in jeder Hinsicht lohnende und auch wissenschaftlich durchaus hochwertige Lektüre.

Alfried Wieczorek, Michael Tellenbach (Hrsg.): Pferdestärken, das Pferd bewegt die Menschheit.
Philipp von Zabern 2007. Gebunden mit Schutzumschlag, 188 Seiten.

 

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