Unternehmen Weltaneignung

Unternehmen Weltaneignung ist beileibe kein Buch, das man mal so eben wegliest. Und das liegt nicht allein am Umfang, sondern auch daran, dass es sich um eine umfassende und sehr detaillierte mit einer Fülle an Informationen versehene Studie zum Thema Verflechtung von Wirtschaft und Politik im Kontext des deutschen Kolonialismus handelt.

Unternehmertum im „Tor zur Welt“

Zweifellos gehören die Inhaber des in diesem Rahmen untersuchten Woermann-Unternehmens zu den wesentlichen Protagonisten der deutschen Kolonialgeschichte, allen voran Adolph Woermann, der den Konzern rund dreißig Jahre lang leitete. Nicht zuletzt seinem Einfluss war es zu verdanken, dass sich Bismarck schließlich doch dazu entschloss, deutschen Kaufleuten den „Schutz des Reiches“ für private Erwerbungen in Afrika zu gewähren und „Deutsch-Südwestafrika“ 1884 zur ersten Kolonie des Kaiserreiches wurde.

Der Konzern ging mit seinen Aktivitäten, die in unterschiedlicher Intensität alle Bereiche der kolonialen Wertschöpfungskette von Plantagen über Handel bis zur Logistik abdeckten, eine „geradezu symbiotische Verbindung“ mit der deutschen Kolonialpolitik ein. Und so spielte vor allem die Woermann-Linie beim Völkermord der Herero und Nama eine herausragende Rolle. Sie sorgte für den Nachschub für die deutschen „Schutztruppen“ und beutete in den Häfen Kriegsgefangene des Vernichtungsfeldzugs als „Zwangsbeschäftigte“ aus.

Kapitalistische Aneignung und Inwertsetzung

Aber der Woermann-Konzern ist lediglich ein Beispiel für die personellen und ideologischen Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik. Und die Studie zeigt somit exemplarisch, wie sich nicht zuletzt die Hamburger Wirtschaftselite sowohl als Nutznießer als auch Triebkraft des deutschen Kolonialismus entwickeln konnte. So lohnt es sich, dieses Buch mehrmals zu lesen, denn es dröselt nicht nur die ökonomisch-politischen Verstrickungen des Wirtschaftsliberalismus kapitalistischer Prägung bei der Aneignung und „Inwertsetzung“ der Welt auf. Es zeigt ebenfalls, wie sich eine aus individuellen wirtschaftlichen Interessen begründete „Moral“ entwickeln und (bis heute) Einfluss auf eine ganze Gesellschaft nehmen kann. So etwa, wenn der Wert und die gesellschaftliche Akzeptanz eines Menschen noch heute über die Arbeit definiert wird.

Rassismus als Teil der Unternehmensstrategie

Es war der Widerstand der afrikanischen Gesellschaften und ursprünglichen Handelspartner gegen die Transformation ihrer Kultur und Wirtschaft in die Kapitalistische der von Land und Leuten besitzergreifenden europäischen Unternehmen, die den Arbeitskräftemangel auf den europäischen Plantagen begründeten. Das von den Unternehmen (u.a. eben auch Adolph Woermann) propagierte Bild des faulen „N..“  entstand, der mit entsprechendem Druck motiviert werden musste, um die „Segnungen“ der Arbeit kennenzulernen. Der Zwang zur Arbeit (für den Profit des Unternehmens) und damit die Kolonialisierung wurde ideologisch auf der Grundlage rassistischer Vorstellungen zum zivilisatorischen Auftrag stilisiert, durch den sich Ausbeutung, Völkermord und eben die Aneignung der Welt rechtfertigen ließen.

Weit mehr als nur unrühmliche Vergangenheit

Auch wenn der Woermann-Konzern, seine unternehmerischen Strategien, die Geschäftsfelder, die Persönlichkeiten und ihre vielfältigen gesellschaftlich-politischen Verflechtungen und nicht zuletzt seine ökonomischen Ergebnisse im Rahmen der Mikrostudie also im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, sie zeigt sehr anschaulich die Strukturen und Prozesse, die dem Imperialismus des Betrachtungszeitraumes zugrunde liegen. Insofern handelt das Buch nicht nur von einem Stück unrühmlicher Vergangenheit, sondern auch von einer historischen Phase, die sowohl unsere heutigen ökologischen und gesellschaftlichen Probleme, aber auch gewisse Wertvorstellungen und Vorurteile mitbegründet hat, die heute in vielerlei Hinsicht zwingend notwendigen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Reformen zur Bewältigung des in der kapitalistischen Globalisierung angelegten Klimawandels entgegenstehen. Denn Vieles, von der Verstrickung von Politik und Wirtschaft über die wirtschaftsliberale gesellschaftliche Ausrichtung bis hin zu einer gewissen moralischen „Flexibilität“ im Dienste von Unternehmensinteressen, gehört auch heute zum täglichen Geschäft im Rahmen des globalen Marktes.

Kim Sebastian Todzi: Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus 1837 – 1916. Wallstein 2023. Gebunden mit Schutzumschlag, 503 Seiten.

Ein Kommentar

Eingeordnet unter 19. Jahrhundert, 20. Jahrhundert, Allgemein, Kolonialisierung, Rezension

Eine Antwort zu “Unternehmen Weltaneignung

  1. Barbara Schnubel

    Bestimmt sehr interessant. Muss es mal auf meine Wunschliste schreiben.

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