Megalithen im indonesischen Archipel

Für die meisten von uns verbinden sich mit dem Begriff Megalith die imposanten, Jahrtausende alten, oft mythisch verklärten Steinsetzungen des europäisch-vorderasiatischen Raumes. Sie gelten als Orte der Kraft, in denen weißgewandete Priestergestalten den Lauf der Sonne beobachteten und allerlei magische Rituale veranstalteten. Für die Archäologen sind diese steinzeitlichen Großbauwerke mangels schriftlicher oder in anderer Form tradierter Quellen hinsichtlich ihrer Interpretation eine gewaltige Herausforderung. Die Megalithen im indonesischen Archipel präsentieren sich in weiten Bereichen zwar oft ebenso geheimnisvoll, bieten den Wissenschaftlern jedoch ganz andere interpretatorische Zugangsmöglichkeiten.

Eine Reise zu lebendigen Megalithkulturen

Seit 2000 unternimmt Autor Dominik Bonatz, Professor für Vorderasiatische Archäologie, archäologische und ethnographische Forschungen zu den Megalithen in Indonesien und präsentiert die Ergebnisse nun in seinem Buch in der Reihe „Zaberns Bildbände zur Archäologie. Der/die LeserIn/BetrachterIn merkt schnell, dass sich hier ein ganz eigenständiges Panorama megalithischer Kultur und Geschichte ausbreitet. Das hat nicht nur mit den vielfältigen Stilen und Symboliken der ganz unterschiedlichen Megalithtraditionen des weitläufigen Archipels mit seinen mehr als 17.000 Inseln zu tun. Auch der zeitliche Rahmen dieser Traditionen unterscheidet sich deutlich von dem des europäisch-vorderasiatischen Raumes. Das beginnt im 1. Jahrtausend v.u.Z. und endet bei den rezenten Megalithkulturen wie beispielsweise in West-Sumba, wo noch heute die Errichtung von Steingräbern zu den sozialen Traditionen der dörflichen Clangesellschaften gehört.

Die Tradition kolonialistischer Geschichtsforschung überwinden

In seiner Einführung vermittelt Bonatz ganz wichtiges Hintergrundwissen zur historischen Entwicklung der europäisch geprägten Erforschung des Megalithphänomens, über die Megalithen in der Geschichte Indonesiens und nicht zuletzt das „strukturelle und mithin auch wissenschaftsideologische Dilemma“, das sich aus der „Archäologie in der Tradition kolonialistischer Geschichtsforschung“ mit seiner Aufteilung in prähistorische und klassische Archäologie ergibt, „das den Blick auf mögliche andere Zusammenhänge versperrt“. Für die Megalithkulturen des indonesischen Archipels jedenfalls taugt diese Einteilung nicht. In der europäischen Archäologie werden Megalithe traditionell der Prähistorie zugeordnet, während sie sich in Indonesien wie erwähnt teilweise bis in die heutige Zeit gehalten haben. Ein großer Teil der faszinierenden Megalithkulturen Indonesiens existierten zeitgleich und in Kontakt mit den hinduistischen, buddhistischen und muslimischen Reichen, die sich im Laufe des 2. Jahrtausends unserer Zeitrechnung vor allem auf den Hauptinseln Indonesiens etabliert hatten.

Von Sumatra über Sulawesi und Java nach West-Sumba

Bonatz beginnt seine archäologisch-ethnographische Reise zu den indonesischen Megalithkulturen auf Sumatra. Dort untersucht er die faszinierende Bilderwelt in Pasemah (Hochland Südsumatra), stellt die Megalithen im Hochlandregenwald der südsumatraischen Provinz Jambi vor, präsentiert die Megalithen im Land der Minangkabau (Hochland Westsumatra) und führt den/die LeserIn zu den Gräbern und Skulpturen in den Batak-Ländern in Nordwestsumatra. Die noch lebendigen megalithischen Traditionen auf der Sumatra vorgelagerten Insel Nias bildet die letzte Station auf/bei Sumatra, bevor der Autor seine LeserInnen zunächst nach Sulawesi, dann nach Java und schließlich zu den megalithischen Gräbern in West-Sumba entführt. Bemerkenswert dabei ist, dass jede der recht kleinräumigen Kulturen eine jeweils eigenständige voneinander unabhängige Entwicklung aufweisen, die sich sowohl in den Traditionen als auch in der jeweiligen Bildsprache ausdrückt.

Spannend mit neuen Blickwinkeln und Erkenntnissen

Der Autor stellt neben den Traditionen und der Bildsprache der großen Steine auch die soziale Ausprägung der jeweiligen Kultur, ihre Geschichte und trotz ihrer relativen Isolation auch die durchaus vorhandenen mal mehr mal weniger intensiven Beziehungen zu den historischen Reichen der Region in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dass nicht nur die kulturellen Traditionen, sondern auch die dazugehörigen Artefakte durch Raub und Zerstörung gefährdet sind, versteht sich in unserer globalisierten, ökonomisch motivierten Welt leider fast von selbst. Gerade vor diesem Hintergrund kommt der archäologisch-ethnographischen Erforschung der indonesischen Megalithen und der damit verbundenen gesellschaftlichen Traditionen, die sich in dieser Form durchaus noch am Anfang befindet, eine besondere Bedeutung zu.

Dominik Bonatz: Megalithen im indonesischen Archipel. Wbg 2021. Gebunden mit Schutzumschlag 168 Seiten

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