Die große Erfindung

Eine Geschichte der Welt in neun geheimnisvollen Schriften

Schrift als Erfindung? Verbirgt sich hinter der Schrift nicht ein evolutionärer Prozess, einhergehend und in Abhängigkeit von Kultur und Sprache? Ist Schrift nicht eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Zivilisation? In ihrem Buch „Die große Erfindung geht die Leiterin des europäischen Forschungsprojektes „Invention of Skripts and their Beginnings“, Silvia Ferrara diesen und vielen anderen Fragen auf den Grund und liefert außerordentlich unterhaltsam spannende Antworten.

Vom Bild über das Symbol zum Schriftzeichen

Vieles mag dem Leser zunächst überraschend erscheinen. So stellt Silvia Ferrera klar, dass die Schrift keine zwingende Voraussetzung für die Entstehung von städtischen Zivilisationen oder komplexen Gesellschaften war. In den Anfängen gab es nicht einmal einen direkten Zusammenhang zur Sprache. Der Übergang von Symbolen und Zahlensystemen beispielsweise zur Dokumentation von Warenein- und ausgängen im Rahmen der Tempelwirtschaften zu echten Schriften ist sicherlich fließend. Dennoch lassen sich gewisse Sprünge erkennen. So entwickelte sich aus bildhaften Symbolen Schriftzeichen, die es je nach Konzept erlaubten, Laute, Silben, Begriffe, mithin also Sprache und Geschichten wiederzugeben und auf entsprechenden Medien zu konservieren.

Kretische Hieroglyphen, Linearschrift A oder Rongorongo

Diese verschiedenen Schriftsysteme und ihre Entwicklung stellt die Autorin, deren Forschungsschwerpunkt auf den antiken Schriften der vorgriechischen Zeit liegt in kurzweiliger Form vor. Dabei behandelt sie auch die Schriften, die zwar gelesen werden können, deren zugrundeliegende Sprache und Kultur jedoch unbekannt ist. Dabei wird auch deutlich, warum sich mit gleicher Schrift Geschichten in ganz unterschiedliche Sprachen niederschreiben lassen, umgekehrt aber auch unterschiedliche Schriften Geschichten in der gleichen Sprache wiedergeben können. Natürlich gibt es auch Schriften, die noch nicht entziffert sind, und damit nicht einmal gelesen werden können. Diese Schriften zeigen einen weiteren Aspekt des geradezu unendlichen Forschungsfeldes. Denn wenn man eine Schrift weder entziffern noch lesen noch irgendeiner Sprache zuordnen kann, woher weiß man dann, dass es sich um eine Schrift handelt?

Schriftkonzepte für Puzzlefans

In anschaulichen Beispielen erzählt die Autorin wie Schriften funktionieren, welche Tücken bei ihrer Entzifferung lauern, und welcher Natur die kulturhistorischen Hintergründe ihrer Entstehung sind. Dabei führt sie nach und nach sprachwissenschaftliche Begriffe wie Homophonie, Onomatopöie, Logogramm, Ideogramm und viele andere mehr in ihre Erläuterungen ein, bis sich dem Leser am Ende das ganze komplexe Geflecht von Schriften mit ihren unterschiedlichen Konzepten ausbreitet, geradezu ein Dschungel, für den sich die Autorin mit unverhohlener (und ansteckender) Begeisterung als Guide anbietet. Ein Buch, das Schrift- und Sprachinteressierte aus verschiedenen Gründen ganz sicher nicht nur einmal lesen.

Silvia Ferrara: Die große Erfindung. Eine Geschichte der Welt in neun geheimnisvollen Sprachen. C.H.Beck 2021. Gebunden mit Schutzumschlag, 251 Seiten.

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