Charles Darwin – Die Entstehung der Arten

Eine Illustrierte Edition

Nach dem opulenten Band „Die Fahrt der Beagle“ (ersch. 2016) hat der Theiss-Verlag nun ein weiteres Werk von Charles Darwin als illustrierte Edition publiziert: „Die Entstehung der Arten“ (ersch. 2017). Bei beiden Büchern handelt es sich um übersetzte englischsprachige Originalausgaben, die bereits 2015 (The Voyage of the Beagle) und 2008/2011 (On the Origin of Species) erschienen sind.
Das vorliegende Buch „Entstehung der Arten“ basiert auf Darwins Text der Erstausgabe von 1859, die sich nicht speziell an Fachleute richtete. Dennoch ist es aus verschiedenen Gründen ein wenig anstrengend zu lesen. Aber wie es der Herausgeber der englischsprachigen Ausgabe, David Quammen in seiner Einführung formuliert, hat der Leser schon viele Bemerkungen über „Darwinismus“ gehört. Doch „Lassen Sie sich nicht von Ersatzspielern in die Irre führen […] Wenn Sie wissen wollen, was Darwin gesagt und gedacht, wofür er gestanden hat – dann lesen Sie dieses Buch.“

Natürlich stehen durchaus auch andere Übersetzungen des Originals, nicht zuletzt die Originalausgaben selbst zur Verfügung und Quammen sei es nachgesehen, dass er pro domo spricht. Tatsache ist jedoch, dass die Lektüre von Darwins Originalausführungen hinsichtlich der zahlreichen Miss- und Unverständnisse oder der bewussten Falschdarstellungen und politischen Missbräuche seiner Theorie grundsätzlich empfehlenswert ist. Als Illustrierte Version enthält das vorliegende Werk jedoch mehr als die Wiedergabe des (leider unkommentierten) darwinschen Textes. Auszüge aus Schriftwechseln mit anderen Wissenschaftlern, aus Darwins Bericht zu seiner Reise mit der HMS Beagle oder aus  seiner Autobiographie zeichnen neben historischen und modernen Illustrationen auch ein Bild der Person Darwins und seiner Zeit.

Die Mechanismen der biologischen Evolution

Dass Darwins wissenschaftlich begründete Ausführungen zur Evolutionstheorie in der damaligen Zeit zu erheblichen Diskussionen und am Ende zu einer Revolution in der Biologie führten, ist weitgehend bekannt. Immerhin läutete er das Ende der christlich basierten Naturwissenschaften ein. Die größten Widersprüche bei den konservativen Kollegen löste insofern weniger das Postulat der natürlichen Selektion, sondern die Negierung der göttlichen Schöpfung der Welt und all seiner Lebewesen aus. Natürlich hat Darwin die Vorstellung von der biologischen Evolution nicht erfunden. Sein Verdienst ist es, ein wissenschaftlich weitgehend hieb- und stichfestes, auf akribischen Beobachtungen und Versuchen sowie der Auswertung der Ergebnisse anderer Wissenschaftler basierendes Theoriegebäude entwickelt zu haben, dessen Grundzüge noch heute Gültigkeit haben. Dabei geht er nicht nur systematisch, sondern auch differenziert vor. So ermittelt er beispielsweise unterschiedliche Mechanismen der biologischen Evolution, zu der die natürliche Anpassung, die sexuelle Selektion, oder die individuelle Einzigartigkeit gehören.

Die evolutionäre Hierarchie der Biologie

Darwins Erkenntnisse stehen naturgemäß auch mit der Entwicklung einer evolutionären Taxonomie in Verbindung. Die Entwicklung einer Struktur, die Lebewesen nicht mehr (nur) nach rein körperlichen Gemeinsamkeiten ordnet, sondern nach Abstammungslinien, stellt nicht nur deshalb eine besondere Leistung dar,  weil die auf der DNA basierenden Reproduktionsmechanismen zu seiner Zeit noch gänzlich unbekannt waren. Und die Unmöglichkeit einer lückenlosen fossilen Dokumentation der Entwicklung einzelner Arten aus völlig unbekannten Stammformen, führen noch heute dazu, dass die Evolutionsgeschichte taxonomisch ständigen Veränderungen unterworfen ist. Darwin hatte als anerkannter Geologe auch die Problematik dieses archäologischen Dilemmas überzeugend beschrieben. Einer der spannendsten Aspekte der Lektüre ist sicherlich die geradezu besessen erscheinende Akribie bei der Untersuchung evolutionärer Prozesse. So wurde der Wissenschaftler sogar zum Taubenzüchter, um unter anderem auch der Evolution der Arten durch die menschliche Zuchtauswahl auf die Spur zu kommen. Die folgt aufgrund der Auswahlkriterien durch den Menschen eben nicht der natürlichen Auslese, wohl aber evolutionären Prozessen. Darwin hat sich mit seinem Untersuchungsgegenstand in ein hochkomplexes Terrain gewagt und war sich trotz jahrzehntelanger intensiver Recherchen bewusst, dass es noch viel Forschungsbedarf gab. Nicht zufällig griff er immer wieder Argumente gegen seine Theorie auf, um sie glaubhaft zu entkräften oder zumindest seine Theorie als die plausibelste für die aufgeworfene Fragestellung zu empfehlen.

Fragen zur Übersetzung

Die Übersetzung eines solchen Werkes stellt zweifellos eine große Herausforderung dar. Gilt es doch nicht nur die Bedeutung und Intention des Originaltextes aus dem Geist seiner Zeit und des Autors heraus zu verstehen und in eine adäquate Begrifflichkeit der Zielsprache zu transferieren. Es erfordert zudem eine gewisse fachliche Kompetenz, die englischen Wissenschaftsbegriffe in die deutschsprachige Wissenschaftstradition zu übersetzen. Diese Kompetenzen der Übersetzer zu beurteilen will ich mir mangels Eigener in keiner Weise anmaßen. Trotzdem stellen sich zu bestimmten Entscheidungen der Übersetzer selbst mir einige Fragen, die zu (er)klären ich im Rahmen von Anmerkungen für sinnvoll gehalten hätte. So wird der Begriff abstract mit Auszug übersetzt, obwohl er im allgemeinen wissenschaftlichen Sprachgebrauch eher mit der Bedeutung inhaltliche Zusammenfassung belegt ist, was mir nach der Lektüre des Buches und seiner Entstehungsgeschichte auch eher der Intention Darwins zu entsprechen scheint. Ein weiteres Beispiel ist die Übersetzung des Wortes genera mit dem Begriff Sippe statt Gattung. Das kann man unter Verweis auf die spezielle deutsche Entwicklung der Taxonomie durchaus machen, ohne entsprechende Anmerkung erscheint mir das ebenso problematisch wie ein allzu undifferenzierter Umgang mit dem Begriff Rasse. Letzterer ist mir allerdings in diesem Buch nicht aufgefallen.

Ein Buch für viele Sinne

Obwohl ich der Auffassung bin, dass das Buch gerade wegen der sprachlichen und historischen Besonderheiten hätte mit zusätzlichen Anmerkungen sowie einem überarbeiteten und angepassten Glossar versehen werden können, kann ich die Lektüre durchaus empfehlen. Auch wenn es eine sehr strukturierte Lesemethode erfordert, um sich nicht durch die ergänzenden Texte der verschiedenen Tagebücher und Journale aus dem Lesefluss des eigentlichen Textes bringen zu lassen, machen jedoch gerade diese den Reiz der illustrierten Edition aus. Die historischen und modernen Abbildungen vermitteln zudem ein visuelles Verständnis für die Zeit und den Geist die Darwins heute so selbstverständlichen Erkenntnisse damals so revolutionär erscheinen ließen.

Charles Darwin: Die Entstehung der Arten. Illustrierte Edition. Theiss 2017. Gebunden mit Schutzumschlag, 544 Seiten.

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