Mythos und Geschichte des Pferds

Mit dem Buch „Pferde“ unternimmt die Autorin Angelika Hirschberg einen kulturgeschichtlichen Rückblick auf rund 5000 Jahre der Beziehung zwischen Mensch und Pferd. Damit ist „Pferde“ keines der vielen Bücher, in denen der Leser über Körperbau, die richtige Pflege, korrektes Satteln und Trensen, perfekte Gangarten oder Reitschulen unterrichtet wird.

Hier erfährt man vielmehr etwas über die Pferde als Teil der menschlichen Kulturgeschichte. Und so ist es kein Zufall, dass Angelika Hirschberg im ersten Kapitel vom Ursprung des Pferdes beginnt, über Götter und Helden zu erzählen.

Zunächst also begegnet uns nicht das biologische, sondern das mythologische, das göttliche Urpferd der indoeuropäischen Mythologien. So zum Beispiel Skyphios, das einem vom Samen des Meeresgottes Poseidon befruchteten Stückchen Erde entsprang. Unsterblich war es, ebenso wie der legendäre Pegasus. Als Sonnenrösser zogen die göttlichen Tiere der Inder, Perser, Griechen oder Germanen über das Firmament. Als achtbeiniges Reitpferd des Odin hatte der nordische Gott Loki den grauen Sleipnir geboren, das schnellste und beste Ross bei Göttern und Menschen.

Das Pferd als Kulturgut

Auch wenn die Pferde bei unseren steinzeitlichen Vorfahren vor Hunderttausenden von Jahren lediglich als Nahrung dienten, so zeigen doch die Höhlenmalereien und steinerne Miniaturen, dass von den Pferden selbst für die Jäger vor rund 30.000 Jahren eine gewisse Faszination ausging. Bereits als Nahrungsmittel war das Pferd in gewisser Weise ein Nutztier. Seinen Aufstieg zum unverzichtbaren Kulturgut und zum göttlichen Wesen aber verdankte es seinem Einsatz als Reittier und als Zugtier für die erste Tempowaffe des Menschen, des Streitwagens. Viele Reiche, sind seit dem 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung auf dem Rücken der Pferde beziehungsweise auf pferdebespannten Streitwagen entstanden.

In verhältnismäßig knappen, gut überschaubaren Texten lässt Hirschberg die Kulturen der Reiternomaden, die Antike, das Mittelalter, den Zug Alexander des Großen, Ritterturniere, die Horden Dschingis Khans oder die Kavallerie des 18. bis 20. Jahrhunderts am inneren Auge des Lesers vorbeiziehen. Im Mittelpunkt immer das Pferd und dessen besonders berühmte Vertreter. Unter anderem begegnen dem Leser die fünf Stuten des Propheten, die Mütter der Vollblutaraber.

Achal Tekkiner, das Pferd der Reiternomaden

Steckbriefe kulturgeschichtlich besonders wichtiger Pferderassen finden sich in den entsprechenden Epochenartikeln. So zum Beispiel der Steckbrief der rund 2000 Jahre alten Pferderasse des Achal Tekkiners, der Pferde der Turkmenischen Reiternomaden. Obwohl unglaublich leistungsfähig und für den Turniersport geeignet, finden sich in Deutschland heute gerade einmal rund 100 reinrassige Vertreter, die auf Turnieren, in Showprogrammen oder als Freizeitpferde Verwendung finden.

Das Percheron- Kaltblut, natürlich der Andalusier, der Trakehner und nicht zuletzt der Friese stehen für Epochen in denen sie gezüchtet wurden. Der kulturelle und geschichtliche Hintergrund erklärt dabei in bestechender Weise, die Einsatzbereiche und die daraus resultierenden Anforderungen, die an die jeweils spezielle und erfolgreiche Pferderasse gestellt wurden. Das reicht von den militärischen Einsätzen über repräsentative Zwecke bis hin zum Arbeitspferd. Denn ausgerechnet in der industriellen Revolution mit ihren Dampfmaschinen erlebten die Pferde als sogenannte Hafermotoren eine ständig steigende Bedeutung für Verkehr, Transport, Gewerbe und private Belange.

Das Pferd im öffentlichen Nachverkehr

In der Landwirtschaft, einem traditionellen Einsatzgebiet der Arbeitstiere, gab es vor allem in den Weiten der USA, wie die Autorin im Abschnitt „von Ackergäulen, echten Kumpels und Kanalpferden“ beschreibt, riesige Mähdrescher, die von vierzig und mehr Pferden gezogen wurden.

Das harte Schicksal der Grubenpferde, die gutmütigen Kraftpakete, die tonnenschwere Kähne die Flüsse stromaufwärts zogen oder der Verbrauch von Pferden als Zugtiere der Omnibusse des städtischen öffentlichen Nahverkehrs im 19. Jahrhundert, bleiben in dem schön gestalteten und reich bebilderten Buch nicht unberücksichtigt.

Der Steckbrief des Deutschen Reitpferdes schließlich steht für das letzte Kapitel, das sich mit dem Pferd des 20. Jahrhunderts und seiner Zukunft auseinandersetzt. Die sieht Angelika Hirschberg naturgemäß nicht nur im Reitsport, sondern vor allem auch im Freizeitbereich. Dafür sprechen nicht nur die Zahlen, sondern auch der Charakter eines der anpassungsfähigsten „Haustiere“, die den Menschen in seiner Kulturgeschichte der letzten 5000 Jahre begleitet haben.

Angelika Hirschberg: Pferde, Mythos und Geschichte eines edlen Tieres.
Jan Thorbecke Verlag 2008. geb. mit Schutzumschlag, 112 Seiten.

 

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