77° Süd, ein Buch über die Antarktis und ihre Entdecker

Entscheidung am Südpol lautet der Untertitel des Sachbildbandes, der weitaus mehr ist, als nur eine weitere der vielen Darstellungen des Wettlaufs zwischen den Antarktishelden Amundsen und Scott.

Es sind Namen wie Amundsen, Scott oder Shackleton, die eng mit der Faszination Antarktis verbunden sind. Helden waren sie, auch wenn ihnen der Erfolg verwehrt blieb. Nicht unbedingt als Helden, aber als Entdecker dürfen unter anderem die Namen Cook und Ross mit der Antarktis in Verbindung gebracht werden. Es waren zunächst aber weniger die wissenschaftlichen Expeditionen oder der heldenhafte Run auf den Südpol, die den bis Mitte des 18. Jahrhunderts lediglich fiktiven Südkontinent Stück für Stück in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückten. Die ersten Erkundungen der geheimnisvollen Welt hinter den Nebeln unternahmen die Robbenfänger auf der Suche nach neuen Jagdgründen.

Der Mensch und die Antarktis – 100 Jahre Kampf

Die Autoren Kari Herbert und Huw Lewis-Jones nähern sich dem sicherlich merkwürdigsten Teil der Erde recht behutsam. So findet sich der Leser im Vorwort mit dem bezeichnenden Untertitel „Spuren im Schnee“ – nach zwei kurzen Zitaten von Herman Melville und Douglas McKenzie zum Thema Südpol – direkt an dem Ort wo die Leichen Scotts und seiner Männer am Mittag des 12. November 1912 gefunden wurden. Beschaulich, unspektakulär wirkt der Einstieg in das Thema und man spürt zwar bereits die Dramatik, die die Auseinandersetzung des Menschen mit dem lebensfeindlichen Ort am äußersten Ende der Erde beinhaltet, noch aber ist die Antarktis nur Gegenstand der Beschreibung, nicht des Erlebten.

Auch wenn der Schwerpunkt des Buches auf den Ereignissen der Jahre 1911/1912, also dem finalen Wettlauf zum Südpol liegt, ist es eher die „Geschichte eines kulturellen Phänomens“ und eine Biografie des Südpols selbst“, wie die Autoren es zu recht formulieren, die von den Antarktisbesuchern der letzten 100 Jahre – zu denen auch die Autoren gehören – in diesem Buch geschrieben wird. Denn es sind vor allem die Impressionen, die Gedanken und Spuren, die Gefühle, die der eisige Kontinent bei den Menschen wohl für immer zurücklässt und die sich in Erfahrungsberichten und Auszügen aus Tagebüchern, in außergewöhnlichen Fotos wie ein Mosaik zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Und diese Spuren, die die letzte Wildnis unseres Planeten bei dem Einzelnen hinterlässt, wirkten und wirken heute noch auch auf die Menschen, die die Antarktis noch nie besucht haben, lösen Sehnsüchte und Phantasien aus.

Vom Robbenfang bis zur Hightech-Wissenschaft

Das Buch spannt einen gewaltigen Bogen von den ersten Entdeckungen des furchterregenden rätselhaften Ortes, der aufgrund der natürlichen Zugangsbarrieren aus Nebel, Eis und Gletscherwänden als „verborgener Kontinent“ charakterisiert wurde, über die Forschungsreisen, über die man den Kontinent zunächst einmal zu erfassen, zu begreifen versuchte bis hin zu den modernen Antarktisexpeditionen und Forschungsstationen, der symbolischen internationalen wissenschaftlichen Inbesitznahme des Pols, zum Antarktistourismus und Arbeitsplatz für Tausende von Wissenschaftlern.

Und dazwischen die Helden, die Gewinner und Verlierer des Kampfes mit den antarktischen Herausforderungen beim Wettlauf zum Pol. Die Menschen, auch jene, die nach Erreichen des Südpols, für Ruhm, Ehre und aus Leidenschaft neue Möglichkeiten suchten, mit dem unerbittlichen Ort ihre körperlichen und mentalen Kräfte zu messen.

Keine Frage, die Antarktis ist gnadenlos gleichgültig, völlig unpersönlich gegenüber denen, die sie herausfordern. Und daher zählt am Ende die Persönlichkeit des Menschen, der sich mit der Urnatur anlegt und von dieser unumkehrbar geprägt wird. Und es waren Persönlichkeiten, umstritten, geliebt, verehrt und verkannt, die im Heldenzeitalter den Kampf mit den Elementen für „Ruhm und Vaterland“ aber gelegentlich auch aus Geltungssucht und Eitelkeit aufnahmen. Die Autoren zeichnen auch von den Persönlichkeiten dieser Helden ein Bild, besser lassen die Protagonisten über ihre Tagebuchaufzeichnungen selbst ein Bild von sich zeichnen, ohne Bewertungen ihres Charakters vorzunehmen.

Entscheidung am Südpol, ein besonderes Buch

77°Süd, Entscheidung am Südpol ist in der Reihe der Antarktisbücher sicherlich etwas Besonderes. Für Leser, die sich mit dem Thema Antarktis und der Geschichte Erforschung bereits näher befasst haben, sind es nicht unbedingt die nackten Informationen, die für Überraschungen sorgen. Die zahlreichen, bislang unveröffentlichten Fotos, die dieses Buch zieren, sind für sich allein gesehen auch nicht der Aufreger. Aber die Gesamtkonzeption von Text, Dokumenten, Fotos, deren Auswahl, Zusammenstellung und die grafische Gesamtgestaltung des Buches lassen auch den informierten Leser auf eine sehr direkte Art in die Geschichte eintauchen. Tatsächlich ist es den Autoren und Buchmachern gelungen, dem unpersönlichen weißem Kontinent über seine menschlichen Gegner des letzten Jahrhunderts ein Gesicht, eine Persönlichkeit zu verleihen, die dem Leser die Faszination, die die Antarktis auf so viele Menschen ausübt, um einiges näher bringt.

Kari Herbert, Huw Lewis-Jones: 77° Süd. Entscheidung am Südpol. Theiss 2011. Gebunden mit Schutzumschlag, 190 Seiten.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Geschichte im Querschnitt, Rezension

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..