Das Zweistromland und die Pferde

Bevor sich das Pferd in der Kultur Mesopotamiens etablieren konnte, erschien es den im Zweistromland ansässigen Menschen wohl nicht sehr nützlich. Etwa in der Mitte des 3. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung, als das Pferd in anderen Kulturen bereits als unersetzliches und vielseitiges Nutztier gehalten wurde, setze man im Zweistromland eher auf Esel.

Vor allem wegen seiner hohen Belastbarkeit wurde der Esel als Last-, Zug- und Reittier schon seit wenigstens Mitte des 4. Jahrtausends vor unserer Zeit in Mesopotamien eingesetzt. Denn das Schriftzeichen für Esel findet sich bereits auf Tontafeln, die den in dieser Zeit zu beobachtenden Anfängen der Schriftentwicklung angehören.

Das Pferd, Esel des Gebirges genannt, wurde gelegentlich anstelle des Onagers, der kleineren Form des asiatischen Wildesels, in die Eselsherden getrieben, um das beliebte Maultier zu züchten. Ansonsten zeigen Belege, dass es an die Löwen, die sich der König hielt, verfüttert wurde.

Dass die Vorstellung vom Nutzen der Pferde bei den Anwohnern des Zweistromlandes relativ lange wenig ausgeprägt schien, lag sicherlich auch an der Tatsache, dass das Pferd in dieser Region nicht beheimatet war. Das Pferd war ein Bewohner der gemäßigten bis kalten Steppenzonen und musste natürlich über Generationen an das heiße und rauhe Klima, insbesondere des südlichen Mesopotamien gewöhnt werden. So fanden Pferde denn auch zunächst ihren Weg als Beute, als Trubut oder über den Handel aus den benachbarten Gebieten wie dem iranischen Zagros- Gebirge, Anatolien oder Nordsyrien nach Mesopotamien.

Reiten auf einem Pferd, peinlich für mesopotamische Könige

Noch Anfang des 2. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung galt es im bedeutenden mesopotamischen Königreich Mari für einen König als unangemessen, auf einem Pferd zu reiten. Angemessen und ehrenhaft war da das Maultier oder der Esel, wie der Brief eines königlichen Beamten belegt. Als Alternative wäre da noch der von einem Pferd gezogene Wagen zu nennen. Aber auf einem Pferd reiten, das taten nur die verachteten Nomaden, nicht aber die Vertreter der städtischen Hochzivilisation.

Den Platz vor dem Wagen hatte das Pferd in jener Zeit aber auch in Mesopotamien schon erobert, wie zahlreiche Darstellungen und Modelle zeigen.

Als sich Anfang des 2. Jahrtausends, wahrscheinlich aufgrund einer innovativen Entwicklung der Hurriter, der leichte Streitwagen als überlegene Waffe in ganz Vorderasien durchsetzte, errangen nicht nur die Pferde, sondern auch die Menschen, die mit ihnen umzugehen wussten, einen besonderen Stellenwert in der mesopotamisch- vorderasiatischen Kultur. Sicherlich hatte auch die Ausbreitung der aus den eurasischen Steppen stammenden indoeuropäischen Reiternomaden nach Vorderasien ihren Teil zur Einführung der „Pferdewaffe“ beigetragen. Immerhin tauchen in der altorientalischen Hippologie, also der Pferdewissenschaft, viele indoarische Spezialausdrücke auf, während sich die Bezeichnung wichtiger Wagenteile auf die akkadische oder hurritische Sprache zurückführen lässt.

Pferdehaltung in Mesopotamien, eine Sache von Königen

Pferdehaltung, Training, Streitwagen und Kampfausrüstung war in der damaligen Zeit eine sehr teure und damit vor allem herrschaftlich-königliche Angelegenheit. Und die Ausbildung und Pflege der Pferde, das Führen des Wagens als Waffe war außerordentlich anspruchsvoll. Kein Wunder, dass sich in diesem Zusammenhang die Spezialeinheit der Wagenführer um die Mitte des 2. Jahrtausends gerade in Syrien und dem hurritischen Reich Mitanni zu einer besonderen Führungsschicht entwickelte.

Marjannu, ein Wort aus der indoarischen Sprachgruppe, nannte sich diese Führungsschicht, die vor allem dem König verpflichtet war und so etwas wie eine wohlhabende Ritterschicht darstellte. Die Marjannu-Würde konnte schließlich sogar von den Königen in Ugarit und Alala verliehen werden.

Streitwagen galten in den alten Kulturen selbst, nachdem sie durch die noch schnelleren, wendigeren und schlagkräftigeren Reitertruppen ersetzt worden waren, als geradezu göttliche Gefährte. Die Sonne reiste im Streitwagen über den Himmel und die wichtigsten Götter und Göttinnen taten ein Gleiches. Vor diesem Hintergrund kann man sich vielleicht vorstellen, welches Ansehen die Wagenlenker in den Hochzeiten der Streitwagenheere hatten.

Vom Pferdewagen zur vorderasiatischen Reiterei

Streitwagenheere, in Form von Tausenden dieser schnellen Gefährte, die in dichten Staubwolken aufeinander prallten, dürfte es kaum gegeben haben. Dazu waren die Gespanne einfach zu teuer und dafür spricht auch die besondere Stellung der Wagenlenker in der altorientalischen Gesellschaft. Das Gros der Heere bestand weiterhin aus Fußsoldaten.

Im Verlaufe des 1. Jahrtausends vor unserer Zeit wurden nach und nach die Streitwageneinheiten durch berittene Soldaten ersetzt. Sicherlich nicht nur, wegen der hohen Kosten. Aber im Gegensatz zu Wagen, die zu ihrer Entfaltung als verheerende Waffe große, weite Ebenen benötigten, waren Reiter in jedem Gelände als schnelle und flexible Einheiten verwendbar. Der Streitwagen stand nun den Göttern oder den Herrschern als Zeremonial- und Repräsentationsobjekt allein zur Verfügung. Das anfangs so ungeliebte Pferd aber war aus den vorderasiatischen Kulturen nun nicht mehr weg zu denken.

 

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